Meine fünf Katzen

Gefühle haben ein Wesen. Sie haben ein Eigenleben. Ich kann nicht über sie bestimmen, wie ich über tote Materie bestimmen könnte. Wer kann das schon. Gefühle sind wie Haustiere bei den meisten Leuten, vielleicht wie Katzen.

Katzen kommen nur zum Besitzer, wenn es ihnen beliebt. Auf Befehle reagieren die nicht. Man könnte sie höchstens mit Futter anlocken, aber das ist auch nicht immer eine Garantie. Katzen haben ihren eigenen Kopf und wenn ihnen mal irgendwas nicht passt, dann werden auch mal kurz die Krallen ausgefahren.

Meine Katzen habe ich nach den fünf Grundgefühlen benannt. Sie heißen Angst, Trauer, Wut, Ekel und Freude. Und die sind nicht alle nett zu mir. Zwei oder drei von denen wollen mich auch regelmäßig umbringen. Manchmal schaffen sie das auch. Ich habe die aber auch schon einige Male ums Leben gebracht. Und glaubt mir: Die haben mehr als neun Leben. Sie sind nach einer Weile alle wieder da.

Meine kleine Freude

Am liebsten mag ich Freude, weiches Fell, klein und anschmiegsam, sanftes Schnurren, beruhigend und so süß! Aber Freude kommt nicht oft zu mir. Auf Rufe hört sie gar nicht. Vielleicht sollte ich sie mehr füttern. Sie kommt auch nur, wenn die anderen Katzen nicht da sind. Sie versteht sich mit den anderen nicht und ich kann es ihr nicht verübeln.

Ekel macht sein Ding allein

Ekel sehe ich schon mal, aber er macht sein eigenes Ding, ist irgendwie ein Einzelgänger und bleibt mir meistens fern und irgendwie bin ich darüber froh. Er macht mir immerhin keine Probleme und das finde ich gut an ihm. Ekel scheint nicht wirklich dazu zugehören. die anderen Katzen sind ihm egal und sie kümmern sich nicht um ihn. Vielleicht ist er ihnen zu ekelig.

Wut ist schnell

Wut ist ein Gepard. Er lauert auch im Verborgenen und dann: von 0 auf 100 in drei Sekunden! Er ist so schnell, aber auch genauso schnell erschöpft. Einmal in Deckung gegangen oder einen Haken geschlagen und er kann nicht mehr und braucht eine Weile, bis er es nochmal probieren kann. Wut ist längst nicht so kräftig wie Trauer oder Angst, aber er würde mich töten, wenn ich es nur zuließe. Irgendwie mag ich Wut. Er ist agil und schnell und so lebendig. Er rennt für seine Beute, er strengt sich an. Das kann ich respektieren, auch wenn ich die Beute bin.

Trauer bleibt

Trauer ist ein Löwe. Er reißt selbst Beute (also mich), hat aber auch nichts dagegen, wenn er meinen Kadaver jemanden schwächeren abjagen kann. Löwen sind die Chefs. Sie sind im Rudel unterwegs. Auch wenn Tiger eigentlich stärker ist, gegen Löwe und seinem Rudel hätte er keine Chance. Genauso wenig hätte Wut da eine Schnitte. Sie müssten Löwe ihre Beute überlassen. Wenn Wut und Angst schon wieder weit weg sind, bleibt Trauer noch lange. Trauer lauert auch im Dunkel, er macht sich breit und zieht erst ab, wenn er alles restlos verdaut hat. Für diese beharrliche Bequemlichkeit müsste ich ihn bewundern, aber er bleibt so lange! Wenn er da ist, dann wird Freude aber nicht kommen. Die beiden mögen sich überhaupt nicht!

Angst lauert überall

Angst ist ein Tiger. Er wartet im Dschungel, lauert im Verborgenen. Ich weiß, dass er irgendwo ist. Ich kenne seine Lieblingsorte und weiß, wo er sich gerne versteckt. Wenn ich ihn suche, finde ich ihn nicht. Aber wenn ich dem Dschungel den Rücken zudrehe oder nicht genug Acht gebe, dann springt er mit einem gewaltigen Satz aus seinem Versteck und schlägt mir seine Pranken in den Rücken. Angst ist meine stärkste und aggressivste Katze. Ich darf ihn nicht unterschätzen, auch wenn ich manchmal wochenlang nichts von ihm höre oder sehe. Ich spüre seine Anwesenheit. Er ist um mich herum. Er lauert. Ständig bin ich angespannt, gestresst und bereit zur Flucht. Er ist überall und wartet im Dickicht auf seine Gelegenheit, immer! Wenn er mich erlegt hat, dann kommt irgendwann Trauer und macht ihm mein Leichnam streitig. Wenn ich Angst zunächst entkommen oder ausgewichen bin, dann lauert er gleich wieder. Ich bin nicht sicher. Nur im Falle, dass ich Angst besiegen sollte, kommt Freude und schmust mit mir.

Katzenpapa wider Willen

Ich muss mit diesen Katzen leben. Ich meine, Freude ist ja super, Ekel ist mir egal und Wut kann ich respektieren. Wut stört ja auch nie lange. Den habe ich wohl im Griff. Nur Angst und Trauer sind so schwer, stark und gierig nach meinem Blut. Ich sollte beide im Blick behalten, so wie es Jäger von einem Hochsitz aus tun. Oder, noch besser, ich sollte sie selbst jagen!

Angst ist nicht da, wenn ich mit einer Flinte nach ihm suche. Angst hat dann selbst Angst. Wenn ich der Jäger von Angst bin, dann kann mir Angst nichts tun. Angst rennt vor mir weg. Aber das habe ich von Wut gelernt: Für meine Beute muss ich mich anstrengen und es kann sehr gefährlich und kraftraubend sein einen Tiger durch das Dickicht zu verfolgen. Sich auszuruhen, um neue Kraft für die Jagd zu haben, könnte fatal sein. Auch wenn ich Angst erlegt habe, dann kann ich mich nicht auf den Lorbeeren ausruhen. Angst ist unsterblich. Er kommt zurück und die Jagd geht weiter. Ich hab den Bastard schon so oft getötet, dachte ich zumindest. Er kommt zurück.

Trauer lässt sich schon mal blicken, wenn ich mit meiner Gefühlsflinte durch die Savanne laufe. Er weiß, dass ich nicht für das ganze Rudel Patronen habe. Er wird also nicht vor mir weglaufen. Aber er weidet sich auch nicht mehr an meinen Eingeweiden, so fällt sein Verdauungsschläfchen aus und er verschwindet schneller als üblich.

Moral mit der Flinte in der Hand

Solange ich achtsam mit mir und meinen Gefühlen bleibe und Angst jage, solange halte ich Angst in Schach und Trauer ist seltener und kürzer anwesend. Klingt doch in der Theorie einfach, oder?

In der Praxis klappt es nicht immer bei mir. Manchmal denke ich, ich hätte alles überwunden und alle Ängste wären Schnee von gestern. Doch sie kommen zurück, wenn ich nicht Acht gebe. Vielleicht passiert auch etwas, das ich nicht erwartet hatte. Ein Schicksalsschlag, der mich zurückwirft oder andere Ereignisse, die ich nicht beeinflussen kann. Ängste können jederzeit wieder da sein. Ich darf keine Angst davor haben, Angst zu haben. Das bedeutet eine sofortige Wiedergeburt meines Tigers Angst und das will er ja. Er kommt schon früh genug zurück.

Ich muss meine Flinte in die Hand nehmen und sie nicht ins Korn werfen. Mein Kater Wut lehrt mich, dass sich ich aktiv sein muss, wenn ich meinen Preis haben will. Angst kommt wenn ich passiv bin. Wut hilft mir so bei meiner Jagd und mein Preis ist, dass Freude zu mir kommt. Ich höre sie gern schnurren.

Das alles ist Ekel aber vollkommen egal.